Ich lasse Kinder sehr gerne mit Wasser spielen, auch mal eine ganze Weile bei laufendem Wasserhahn!
Waaaas? „Anna – wie kannst du nur?“ Kinder müssen doch lernen, dass das Wasserverschwendung ist.
Die Aussage, die ich schon tausend Mal von Kolleg*innen dazu gehört habe:
„Ich finde das nicht gut! Das ist mega die Wasserverschwendung! Und das sollen sie auch lernen!“ „Außerdem sind die dann nachher wieder klatschnass!“
Ich bin sofort dabei, wenn es darum geht, Kindern beizubringen, achtsam und Ressourcen schonend mit unserer Umwelt umzugehen! Aber dabei geht es meiner Meinung nicht um einen laufenden Wasserhahn… Ganz ehrlich, sie werden nicht ihr Leben lang am laufenden Wasserhahn mit Wasser spielen…! Ich verspreche es ;).
Wir gehen den ganzen lieben langen Tag als Vorbild voran, um ihnen zu zeigen, wie wir gut mit wertvollen Ressourcen umgehen können! Das zählt und prägt sie!
Zum Thema Wasserverschwendung
Wenn ich mir allerdings immer wieder diese Vorwürfe zum Thema Wasserverschwendung anhören musste, ging in mir eine kleine rebellische Stimme an. Die Argumentation ist etwas plump, aber in meinem Kopf dachte ich dann:
„Ok, du unterbrichst jetzt dieses so vertiefte, freudige, wunderschöne Spiel des Kindes mit Wasser… Und stehst hier vor mir mit deinem Kaffee in der Hand und deiner H&M Jeans.“
Weißt du wieviel Liter für eine Jeans gebraucht wird? 8 000 Liter Wasser! Und für ein Kilogramm gerösteten Kaffee? 18.857 Liter Wasser!
Mir ist klar, dass diese Art zu argumentieren etwas schlicht ist und ganz davon abgesehen, habe ich auch eine H&M Jeans in meinem Kleiderschrank… Und trinke auch ab und zu Kaffee und Bier und vieles andere, was ultra viel Wasser verbraucht.
Deswegen führe ich diese Dialoge auch nur in meinem Kopf ;).
Ich will also mit diesem provokativen im-Kopf-Dialog keinen Streit vom Zaun brechen und will auch nicht gegenseitig aufrechnen. Ich will eigentlich den Fokus verschieben. Und zwar auf das, was da so wichtiges passiert.
Es geschehen bei dem Spiel am Wasserhahn so wichtige Prozesse
Habt ihr mal die Freude gesehen, wenn Kinder mit Wasser spielen? Dieses Element scheint bei fast allen Kindern sofort einen riesigen Freuden-Cocktail im Kopf zu verursachen!
„Diese Begeisterung über sich selbst und über all das, was es noch zu entdecken gibt, ist der wichtigste Treibstoff für die Hirnentwicklung.“¹
Wenn wir aber Kindern die Möglichkeit verwehren, ihre Selbstwirksamkeit zu erfahren, ihnen stattdessen immer wieder vorgeben, was sie zu tun haben, sie zum Objekt der eigenen Vorstellungen machen, ersticken wir diese Begeisterungsfähigkeit im Keim.¹
Und das tun wir, wenn wir ständig ihre Prozesse unterbrechen und ihnen unsere Vorstellungen, wie sie zu lernen haben, überstülpen.
Aus sich selbst heraus lernen
Kinder lernen, wenn das, was sie erleben unter die Haut geht. Diesen Zustand (des völligen innerlichen Ausflippens vor Begeisterung) erleben Kinder 20 bis 50 Mal am Tag.
Sie kommen in einen rauschartigen Zustand aus Begeisterung über das, was sie da hingekriegt haben und was sie erleben! Dabei werden im Gehirn die emotionalen Zentren aktiviert. Das ist wie eine Gießkanne im Gehirn, gefüllt mit Dünger. ²
Das was erfahren wird, wird also ins Gehirn eingearbeitet und dadurch lernen sie. Wenn diese Gießkanne nicht gefüllt ist, dann bringt es „nichts“. Es bleibt einfach nicht hängen.
Es muss unter die Haut gehen und ein Begeisterungscocktail gemixt werden.
Kleine Kinder bringen zwei Haltungen mit
Zum Einem Neugier/Entdeckerfreude und zum Anderen Gestaltungslust. Sie wissen, dass sie in der Welt da draußen genug zum Entdecken finden. Und sie vertrauen darauf, dass sie Menschen finden, zu denen sie sich zugehörig fühlen und die sie begleiten. ²
Das sind zwei Grundbedürfnisse, die der Mensch mit auf die Welt bringt und die auch für uns als Erwachsene existenziell sind: Wir brauchen Aufgaben, an denen wir wachsen können, wollen mitgestalten und zu einer Gemeinschaft dazu gehören.
Was brauchen Kinder von uns
Sie brauchen Erwachsene, die Freude dabei haben, Kinder einzuladen, zu ermutigen und zu inspirieren sich als kleine Weltentdecker auf den Weg zu machen.²
Wir müssen uns also dabei viel mehr zurück halten, als es wir es gewöhnt sind. Und auch weniger vorgeben, als wir es meistens tun.
Klaro, wir schaffen den Rahmen, wir sorgen für Sicherheit und wir dürfen auch immer wieder Impulse, Input und Anregungen geben.
Aber wenn wir Kinder lassen, entsteht im freien Spiel genau die Anregung, die sie zum Lernen brauchen. Und hier kommt wieder der laufende Wasserhahn ins Spiel. Den finden sie ganz von allein, wunderbar integriert in den Alltag.
Kinder lernen hier sooo so viel und mit einer riesigen Portion Begeisterungsdünger im Gehirn. Physikalische Grundkenntnisse werden in diesem Spiel gelegt.
Sie brauchen von uns den Raum, genau dort auszuprobieren.
Wir sollten nun nicht hingehen und sagen, HÖRT AUF, DAS VERSCHWENDET WASSER und es verbieten. Sondern sehen, dass da gerade ein ultra wertvoller Lernvorgang im Gange ist und jede Menge Spaß noch dazu.
Wir sollten Handtücher und Lappen holen und ggf. Wechselkleidung parat legen. Wir können Schüsseln und wassertaugliche Materialien bereit stellen und die Kinder in diesem Spiel begleiten. Wir dürfen sie sehen, begleiten und ihren Freudencocktail genießen!!
Also bitte bitte bitte, lasst die Freude der Kinder fließen.
Alternativen zum laufenden Wasserhahn
Hier ein paar Alternativen :
Du kannst den Kindern dann Wasser zum Spielen auf andere Weise zur Verfügung zu stellen. Eine Wanne voll Wasser im Badezimmer oder auf dem Balkon mit Becher und Materialien zum Spielen und Schütten. Wichtig ist, dass du das direkt anbietest und mit ihnen besprichst: „Hier am Wasserhahn geht es nun nicht, aber ihr könnt dort weiter spielen.“ Denn die Begeisterung und der Entdeckerdrang ist JETZT gerade da.
Grundsätzlich sind Wasserspiele auf Spielplätzen für Kinder toll (Wechselkleidung für alle einpacken !!) oder natürlich noch toller ist ein Bach im Wald.
Ihr könnt auch Regenwasser sammeln und zur Verfügung stellen.
Wichtig ist, keine zu engen Regeln aufzustellen. Sie sollen frei spielen können, nass werden dürfen, mit allen Sinnen das Wasser und das Spiel damit erleben können.
Wenn es überhaupt keine Alternativen geben sollte, dann würde ich die Kinder immer eine Weile spielen lassen. Klar, es geht nicht zu jedem Zeitpunkt, vor dem Essen haben wir nicht ewig Zeit zum Beispiel. Und dann mit dem Kind klar und dennoch liebevoll besprechen, dass sie nun noch 3 min spielen dürfen (zum Beispiel die Sandur stellen) oder noch 10 Mal schütten dürfen und dann der Wasserhahn ausgemacht wird.
PS:
Nachtrag: Mir geht es diesem Text nicht darum, einen Freifahrtschein für Wasserverschwendung zu geben. Die aufmerksame Follower*in meiner Arbeit weiß, dass mir Nachhaltigkeit wichtig ist…! Es geht darum (in diesem Fall etwas provokativer;)) den Scheinwerfer auf das zu richten, was im Alltag so schnell untergeht. Wir untersagen und verbieten oft so viel. Auch mit den besten Absichten.
Hier wünsche ich mir mehr Achtsamkeit für das, was Kinder brauchen um frei lernen zu können und sie in ihrer Ursprünglichkeit unterstützen zu können. Der laufende Wasserhahn ist nur ein Beispiel von tausenden und ich habe ihn bewusst gewählt 😉 ! Wir unterbrechen nämlich ganz oft das wertvolle freie Spiel. Hier brauchen wir mehr bewusst-sein, Zeit, Geduld.
Wie bei so vielen Themen, dürfen wir uns auf den Weg machen, es geht kinderwärts! Kommst du mit?
¹ „Wie Kinder heute wachsen“ H. Renz-Polster, Gerald Hüther
² Zitate und Impulse aus diesem Interview mit Gerald Hüther
Das Foto ist von der wunderbaren Tabea Reusser
Diese und andere Illustrationen findest du in meinem kleinem Shop. Du unterstützt damit meine Arbeit. 🙂
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1 Comment
Das plätschernde Geräusch des Wassers und die endlosen Möglichkeiten für Fantasie und Spaß, die ein einfacher Wasserhahn bieten kann, sind wirklich bemerkenswert. Es ist erstaunlich, wie die einfachsten Dinge oft die besten Erinnerungen schaffen.
Liebe Grüße,
Luna