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Der Kindertag und ein Buch – warum ich sehr emotional und sehr dankbar bin

1. Juni 2017

Heute ist Kindertag. 

Und gestern bin ich mal wieder durch die Stadt spaziert… Es war ein schöner sonniger Tag, blauer Himmel. Unglaublich wie schön Zürich ist! So viele schöne Häuser (so wenig wurde im Krieg zerstört), so viel sattes Grün, schöne Vorgärten, nette Cafés, teure Boutiquen, der See, Parks, so viel kleine Oasen. Ich bin sehr dankbar hier sein zu dürfen. Unser Umzug vor ein paar Monaten verlief relativ reibungslos, wir konnten „einfach so“ unser neues Leben in einem neuen Land starten. Wir wurden überall herzlich Willkommen geheißen.

Als ich mich gestern auf den Weg in die Stadt mache, finde ich noch Post im Briefkasten. Ein Buch („Anschlag von rechts“ von Reiner Engelmann), spontan nehme ich es einfach mit.

Ich beginne zu lesen und kann nicht mehr aufhören. Ich hangle mich von Parkbank zu Parkbank, von einem schattigen Platz zum nächsten Café und lese. Lese, lese und lese. Ich bin inmitten dieser wunderschönen Gegend und lese Worte, die den blanken Horror abbilden.

Warum ich überhaupt weiterlese, liegt wohl daran, dass das Buch für Kinder ab 13 Jahren ist. Sicherlich an der ein oder anderen Stelle abgemildert, zu krasse Details weggelassen.

Das Buch beschreibt zu Beginn die Flucht von fünf Familien bzw. einzelnen Jugendlichen aus Afghanistan, Somalia, Syrien, Pakistan und Simbabwe. Es wird von ihrem Leben erzählt, von den Umständen in ihrem Heimatland und ihren Beweggründen, sich auf die Flucht zu begeben und somit ihr zu Hause für immer aufzugeben.

Und dann wird die Flucht beschrieben. Sie geht übers Wasser, über Land, per Fuß, per Boot, per Schiff, per Flugzeug, … Es ist unglaublich welchen Weg diese Familien und Menschen hinter sich haben. Sie erleben wie Mitreisende sterben, sie werden gedemütigt, eingesperrt, erleben Hunger, Durst und immer wieder Todesangst. Was sie antreibt – ist die Hoffnung. Die Hoffnung auf ein besseres Leben.

Warum mich diese Worte in diesem Buch so berühren?

Wie oft habe ich schon diese Geschichten gehört. Wieviele dieser Bilder flattern ständig über den Fernseher oder meine Tagesschau App.

Ich glaube, es packt mich so, weil ich an diesem Tag das extreme Kontrastprogramm erlebe. Und erlebt habe, als ich einen kleinen Neuanfang wagte. Es liegt mir fern, die Situation ernsthaft mit meiner zu vergleichen, aber mir geht der Gedanke geht nicht aus meinem Kopf: wie un-fassbar gut geht es mir!

Es ist eigentlich etwas, was mir immer bewusst ist. Ich glaube meine Eltern haben mir das schon immer vermittelt, dankbar zu sein und auch an die zu denken, denen es nicht so geht.

Aber im Angesicht der Geschichten dieser Menschen, zeichnet sich für mich diese glasklare Erkenntnis ab. An der nichts zu rütteln und zu schütteln gibt. So viel Not, so viel Elend. Und hier so viel Reichtum, so viel Essen, so viel Platz, so viel Bildung. Glasklare Sache: wir müssen teilen! Unser Land, unsere Ressourcen, unsere Häuser, unser Geld, unser Leben. Da kann doch kein Mensch etwas dagegen haben!

Weit gefehlt. Der Titel verrät schon, es geht im Buch leider nicht sehr schön weiter. Die Familien kommen in eine kleine Flüchtlingsunterkunft, in der sie sich endlich sicher fühlen und langsam beginnen Normalität zu erleben.

Eines Nachts wird jedoch genau auf diese Unterkunft ein Anschlag verübt. Ein Molotowcocktail wird durch eine Fensterscheibe in ein Kinderzimmer geworfen.

Wie es dazu kommt, wer diese Tat verübt hat und welche Beweggründe dahinter stehen wird im Folgenden beschrieben.

Rechtes Gedankengut und Fremdenfeindlichkeit sind in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen und viel zu lange unbeachtet geblieben.“

Was treibt diese Menschen dazu, Flüchtlinge zu beschimpfen und Asylunterkünfte anzuzünden? Warum tragen sie einen solchen Hass gegen alles Fremde in sich? Der Autor begibt sich auf die Suche nach Antworten. Eine klare Antwort darauf findet er meiner Meinung nach nicht. Ich denke, um das zu verstehen, müsste man noch tiefer in die Biografien der Täter*innen einsteigen, denn niemand wird mit „rechtem Gedankengut“ geboren. Aber vielleicht ist dafür die Zielgruppe auch die falsche, das Buch richtet sich primär an Jugendliche!

Der Autor begegnet Ängsten und Vorurteilen (die einige Mitbürger*innen de facto haben) mit realistischen Einschätzungen und Zahlen, die zeigen wie viele bzw. wie wenige Flüchtlinge verhältnismäßig in Europa ankommen. Außerdem zeigt er nochmal sehr deutlich auf, WARUM Menschen flüchten. Und welche Chance und Bereicherung es sein kann, wenn diese Menschen Teil unserer Kultur werden.

Durch die Flüchtlingsthematik in unserem Land hat sich das Thema Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus ein neues Gewand angezogen und ist wieder viel stärker als Haltung in unserer Gesellschaft zu finden. Sicherlich auch aus Angst und Unwissenheit, die aber nichts entschuldigt. Hier sind wir alle gefragt und Aufklärung ist ein sehr großes Stichwort.

Die Zahl der rechtsextremen Straf- und Gewalttaten ist in den letzten Jahren signifikant gestiegen!

Kann ein Buch etwas dagegen tun?

Ja, es kann unser Bewusstsein neu schärfen und für Jugendliche kann sich dieses Bewusstsein neu entwickeln. Es kann als Anregung dienen, mit euren und den euch anvertrauten Kinder darüber zu reden. Ich finde das Buch für Jugendliche empfehlenswert, aber wie ihr seht, hat es mich auch angesprochen. Es ist auch hilfreich für Erziehungsberechtigte und Pädagog*innen, da es einen umfassendes Glossar mit Symbolen und Codes, die in der rechten Szene verwendet werden, beinhaltet. Es ist irgendwie kein richtiger Roman, mir an manchen Stellen etwas zu abgehackt erzählt, aber trotzdem ein gutes Buch (auch oder grade deswegen für die Schule).

Mein Tag gestern – er bildet so sehr das Bild unsere Welt ab, Luxus, Konsum, Schönheit auf der einen Seite, Krieg, Elend und wirklich große Not auf der anderen Seite.

Und was hat jetzt der Kindertag damit zu tun? 

Es ist Zufall, dass ich das Buch gestern gelesen habe und heute Kindertag ist. Aber ich möchte heute eine Bitte an euch richten.

Heute am Kindertag, tut euren Kindern was Gutes, zu Hause, feiert in Kita und Schule, verwöhnt sie nach Herzenslust ..

Aber vor allem: lasst uns heute an die Kinder denken, denen es nicht so gut geht! Die auf der Flucht waren oder sind, die noch in ihren Heimatländern Krieg und Gewalt ausgesetzt sind. Redet mit euren Kindern darüber, wie gut es uns geht (dabei geht es mir mehr um die Vermittlung einer Haltung, als darum, Kinder stundenlang zuzutexten, dass es manche Kinder auf dieser Erde dankbar für Essen auf dem Teller wären. Ihr kennt das!?).

Und tut Gutes! Es gibt so viele Projekte, die man unterstützen kann, mit ehrenamtlicher Hilfe, mit Sach- und Kleiderspenden oder Geld. Und lasst es nicht zu, dass Kinder mit ihren Familien Opfer von rechtsextremen Anschlägen werden. Wir können auch im Kleinen etwas gegen diese Bewegung in unserer Gesellschaft tun!


Der cbj Verlag bzw. die Verlagsgruppe Random House hat mir das Buch „Anschlag von rechts“ bedingungslos als Rezensionsexemplar zugeschickt, da ich es so gut fand, habe ich diesen Blogbeitrag geschrieben und gebe das Buch nun gerne weiter an einen von euch!

Schreibt einfach einen Kommentar, das Los entscheidet (am 8.6.2017 um 23.59 Uhr).

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9 Comments

  • Reply Janina 2. Juni 2017 at 12:46

    Hallo Süße! Gerade deine Instastories gesehen und direkt hier nachgelesen. Wahnsinn.. ich hab immer noch Gänsehaut und bin echt berührt. Ich habe in meiner Arbeit als Träger auch mit Flüchtlingen zutun und habe auch schon mal darüber geschrieben. Ich würde gerne so viel mehr tun, aber die Zeit lässt es nicht zu. Trotz dessen bin ich total deiner Meinung, dass man einfach mehr darüber sprechen sollte und sein Herz weit machen sollte.
    Wir haben es wirklich so so so gut und ich hoffe, wir begreifen das, bevor es uns schlechter geht.
    Ganz liebe Grüße und danke für den Text. Das Buch würde mich wirklich interessieren! :-*
    Janina

  • Reply Tine 5. Juni 2017 at 15:45

    Ich würde es auch gerne lesen und in unser Schulbuchregal stellen. Diese Erkenntnis der Kontraste trifft mich auch und macht mich sehr wütend. Lg Tine

  • Reply Vanessa 7. Juni 2017 at 20:00

    Hallo, du Tolle!
    Danke, dass du deine Gedanken und Gefühle so offen teilst!! Besonders dieses Thema ist ein unglaublich wichtiges und die Scheuklappen in der Gesellschaft müssen verschwinden! Ich bin derzeit am Ende meiner Ausbildung zur Lehrerin und ein Dozent sagte einmal zu mir: „Wenn Sie Lehrer werden wollen, um die Welt zu verändern?! Vergessen Sie es!“ Aber genau das ist es, was ich will! Ich möchte einen Unterschied machen! Ich habe die Fächer Deutsch und Religion und bin immer auf der Suche nach besonderen Jugendbüchern, die sich gut für den Unterricht eignen. Und dieses Buch, egal in welchem dieser Fächer, eignet sich großartig, um Schülern die Ernsthaftigkeit und aktuelle Relevanz dieser Thematik nahe zu bringen und sie sensibel dafür zu machen! Ich würde mich freuen, es lesen zu dürfen! 🙂
    Liebe Grüße
    Van

    • Reply Anna 12. Juni 2017 at 18:39

      Liebe Van,
      verändere die Welt, mach einen Unterschied und geb mir die Telefonummer des Dozenten ;)!!
      Das Buch macht sich bald auf die Reise zu dir!! Danke fürs Kinderwärts unterwegs sein und lass dich nicht von Menschen wie diesem Dozenten oder Kolleg*innen entmutigen!!
      Alles, alles Liebe Anna

  • Reply Hanna 7. Juni 2017 at 22:50

    Liebe Anna,

    danke, dass du dieses Buch hier vorgestellt hast. Allein deine Rezension hat mich schon so bewegt und sehr gern würde ich es auch selbst einmal lesen – und dann einfach gern weiterverschenken. Vielleicht habe ich ja Glück.
    Alles Liebe aus Berlin
    Hanna

    • Reply Anna 21. Juni 2017 at 16:36

      Hey Hanna,
      wie schön von dir hier zu lesen. Das Buch ging leider an jemand anderen, aber du hast bestimmt noch eine Menge Lesematerial auf Lager. 😉 Liebe Grüße

  • Reply Nafine 7. Juni 2017 at 22:55

    Ich würde es gerne lesen, ich habe 2 Jahre in Afghanistan gearbeitet und kenne viele Geschichten von vielen tollen Menschen die unbedingt bleiben wollten aus den unterschiedlichsten Gründen. Mich hat diese Zeit sehr bewegt und verändert und ich würde mich gern mehr mit der Seite jener beschäftigen die einen anderen Weg gewählt haben.
    Liebe Grüße Nadine Billerbeck

    • Reply Anna 21. Juni 2017 at 16:35

      Liebe Nadine, das klingt nach einer sehr intensiven Arbeit und ich glaube dir gerne, dass es dich verändert hat. Liebe Grüße an dich.

  • Reply Jule 9. Juni 2017 at 22:02

    Leider habe ich den Beitag jetzt erst gelesen. Das Buch würde ich auch gerne lesen wobei mir sowas ja auch immer extrem nahe geht. Es ist gut zu wissen, wie gut es einem geht und dabei nicht zu vergessen,wie schlecht es vielen anderen Menschen geht. Das ist eine für mich sehr wichtige Einstellung zum Leben. Fühl Dich umarmt.

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