Malort

Der Malort – (m)ein Ort der Geborgenheit

20. März 2018

Ich betrete den kleinen fensterlosen Raum. In der Mitte lacht mich schon der bunte Palettentisch voller Farben und Pinsel an.

Diese kleine bunte Welt hier, diese Innenwelt, sie ist nicht wie die Außenwelt. Wenn ich den Malort betrete, darf ich meine Vernunft abgeben. Ich übergebe sie an die Malspiel-Dienende und sie verwahrt sie wie einen Mantel und übergibt sie mir erst wieder, wenn ich den Malort verlasse. Es ist wie ein Schutzraum, mein Raum, meine Zeit.

Kein Muss

Mein Blatt muss mit niemanden geteilt werden. Ich muss es „für niemanden“ malen. Keiner muss/soll/darf es schön, kunstvoll, nichtssagend oder gar hässlich finden. Ich muss nichts darstellen. Mein Bild auch nicht.

Hier darf ich einfach nur erleben. Niemand stellt Fragen. Niemand bewertet. Niemals. Denn mein Bild verlässt diesen sicheren Ort nicht.

Aber ich bin nicht allein

Die anderen Mitspielenden sind da, auch sie geben sich diesem Malspiel hin und so ist es einfach ganz normal, dass wir alle malen, ohne zu bewerten. Es ist nichts Außergewöhnliches. Sie engen mich nicht ein, sie regen mich an. Sie sind da, sie gehören dazu, ich gehöre dazu. Wir reden, wir lachen, wir schweigen.

Ich muss mich nicht mit ihnen und auch nicht mit ihrem Gemalten vergleichen. Ich bin Anfang 30, neben mir malt links ein sechsjähriger Junge, rechts neben mir eine 65-jährige Frau. Die Bilder von den Beiden würde niemals jemand vergleichen bzw. sagen, sein Bild ist besser als ihres. Diese Begriffe haben hier keinen Raum, sie wirken fast fremd in diesem geschützten Rahmen.

Warum so strenge Regeln?

Das war zu Beginn meine größte Sorge und auch Frage. Warum gibt es so feste Regeln? Wenn man allerdings dann einmal selbst im Malort gemalt hat, versteht man dies sehr schnell. Man merkt, dass es keine „nicht-dürfen“ Regeln sind, sondern sie das Malspiel ermöglichen.

Alles muss stimmen, wie bei einem Instrument, es macht einfach keinen Spaß darauf zu spielen, wenn es nicht gestimmt ist.

Wie halte ich den Pinsel, wie tunke ich ihn in das Wasser und in die Farbe.

Wie führe ich den Pinsel auf dem Papier.

Wie sollen die Pinsel neben der Farbe liegen.

Die Farben dürfen sich nicht vermischen.

Das Bild wird nur von der Malspiel-Dienenden aufgehängt, ebenso versetzt nur diese die Reiszwecken.

Auch die Farbe wird nur von ihr nachgefüllt und auch wenn ich sonst etwas brauche, wende ich mich an sie. (Meistens ist sie aber schneller als ich und weiß schon, was ich brauche.)

Die Regeln sind keine Einschränkung, im Gegenteil. All dies ist eine Ermöglichung. Ich merke, es macht Sinn, den Pinsel so, genau so, einzutauchen und es macht mehr Spaß zu malen, wenn ich ihn so, genau so, halte.

Malort
Alles ist möglich, auf die beste Weise

Man wird anspruchsvoll, wenn man eine Weile im Malort malt. Ich erlebe dort eine große Sorgfalt und so entwickele ich automatisch eine Geschicklichkeit und Genauigkeit.

Ich darf so lange testen, bis ich die für mich perfekte Farbe gemischt habe. Man reicht mir ein Näpfchen, dazu einen guten Pinsel, die Farben sind hochwertig. Ich stehe entspannt und falls es mal für eine Sekunde unentspannt werden sollte, ist die Malspiel-Dienende da und stellt mir einen Hocker hin oder eine Leiter, je nachdem was ich brauche.

Ich darf mich der dienenden Person anvertrauen, das fühlt sich vielleicht erstmal fremd an. Jemand, der sich um alles kümmert, einfach so, hier wird keine Gegenleistung erwartet.

Aber es ist ein sehr schönes Gefühl, so gesehen zu werden, einfach so. Aber nicht weil ich etwas besonders gut kann und deswegen gefördert werde oder weil ich ein VIP bin, oder weil ich so bedürftig bin. Nein jeder wird hier gesehen. Und so auch ich.

Und weil ich mich um „nichts“ kümmern muss, kann ich so spontan sein und mich dem Wesentlichen zuwenden.

Meine Spur

Arno Stern nennt das Gemalte, die Spur. Sie darf einfach auf dem Papier stattfinden. 

Eine Äußerung, die mir „entfliesst“. Sie muss nichts vermitteln, sie muss nicht schön, kunstvoll, exakt oder sonst was sein. Sie muss gar nichts! Sie DARF EINFACH SO SEIN. Und somit darf ich auch einfach so sein.

Achtsamkeit

Im Malort erlebe ich Achtsamkeit, es beschäftigt mich nur das Gegenwärtige. Ich denke nicht über das Gemalte nach, bewerte es nicht. Ist es schön oder nicht, ist es richtig oder falsch, warum diese oder jene Farbe? Dies alles fragt man sich eben nicht.

Vielleicht dauert es eine Weile, bis du es so erlebst als Erwachsene*r. Aber früher oder später kommst du hinein in diese Haltung.

Ich sehe, dass die Kinder um mich herum einfach nur glücklich sind, während sie malen. Sie haben noch nicht viel Bewertung oder Kunsterziehung in ihrem Leben erlebt. Sie sehen das Bild nicht mit fremden Augen an. Warum auch? Sie fühlen einfach nur: Das „bin“ ich. Punkt.

Malt ein Kind eine große Fabrik, dann malt es nicht einfach nur ein Fabrikgebäude, nein, es wird zum Fabrikbesitzer. Ein Kind neben mir malt eine Indianer-“Szene“ und ich sehe in ihrem konzentrierten Blick, sie ist selbst gerade dieses Indianermädchen. Sie spielt. 

Für 90 Minuten gibt es keine Unterbrechung, wenn ich es nicht selbst möchte. Wenn die Zeit vorüber ist, verlasse ich diesen Raum. Es ist als ob ich eine Theatervorstellung oder ein Konzert verlasse. Ich kehre zurück in die „reale Welt“. An der Garderobe übergibt man mir wieder meine Vernunft.

Aber ich komme wieder, nächste Woche, darf ich wieder hier sein und für 90 Minuten diesen Ort der Geborgenheit erleben.

Update: Mittlerweile habe ich einen eigenen Malort in Zürich.



     

Diese beiden Bücher* sind wunderbar und helfen bei einer Vertiefung in das Thema, vor allem für Jeden, der gerne die Kunst des Dienens sowie die Forschung Arno Sterns verstehen und vertiefen möchte.

* Die Bücher wurden mir vom Drachenverlag als Rezensionsexemplare zur Verfügung gestellt. Die Links sind Affliate Links, wenn ihr sie nutzt, unterstützt ihr mich und meine Arbeit und habt dadurch aber keine Mehrkosten. Mehr Infos darüber findet ihr auf der „Über Kinderwärts“ Seite.

Wenn dir dieser Artikel gefällt bzw. weitergeholfen hat, würde ich mich raketenmäßig freuen, wenn du meinen Blog unterstützt. Du kannst dies über den unten stehenden Link tun. Wieviel du willst und natürlich freiwillig. Vielen Dank!!

3 Comments

  • Reply Verena 20. März 2018 at 9:14

    Liebe Anna,

    es ist schön von dir zu lesen – seit kurzer Zeit erst und seit dem immer wieder gerne!
    Danke, dass du deine Perspektive und deinen Blick teilst.

    Ich würde mich sehr gerne mit dir austauschen und vernetzen. Daher hinterlasse ich dir mal meine Emailadresse.
    Vielleicht begegnen wir uns auch im April auf dem Kongress in Berlin.
    Würde mich sehr freuen!

    Liebe Grüße
    Verena

  • Reply Tania 20. März 2018 at 13:31

    Wow Anna, danke fūr dein MALORT Schreiben. Deine Persoektive hat mich total berūhrt. Schōn wie Du es erlebst. Ja, es fūhlt sich wie Kind sein an. Einfach in Geborgenheit spielend Sein. Ein Vergnūgen!

  • Reply ateet 21. März 2018 at 18:03

    danke, liebe anna,
    sehr schön hast du das beschrieben, geschrieben – spielen, vertrauen, geschehen lassen…
    so erlebe ich auch den malort in münchen, seine wunderbare wirkung und das, was dort passieren kann.
    und immer mehr menschen können jetzt das malspiel wertschätzen und das erfüllt mich mit tiefer freude.

    herzliche grüße vom malort-münchen e.v.
    ateet

  • Leave a Reply