DONNERKNISPEL!! Um solche herzigen Schimpfwörter geht es heute NICHT in meinem Blogpost. 🙂 Sondern eher um die etwas krasseren Vulgarismen und wie wir damit umgehen können. Hilft ein Schimpfwörter Sparschwein oder müssen sie einfach untersagt werden, basta fertig aus?
Der Gebrauch von Schimpfwörtern ist immer wieder ein großes Thema. In meinem alten Projekt musste ich mir regelmäßig die Ohren abends auswaschen. Je älter die Kinder waren, desto extremer haben sie sich verbal attackiert. Ich rede hier eben nicht von „du Blödi“ oder „Arschi“, sondern eher so von „Nazisohnopfer“, „Hurensohn“, „Fick dich“ undsoweiter, … 🙂
Zuallererst sei gesagt, wenn Kinder schimpfen: hat es einen Grund!
1. Grund: Es wird aus Spaß gesagt (bei Kindern öfter der Fall als man denkt).
2. Grund: Sie wollen sehen, wie wir reagieren.
3. Grund: Sie ärgern sich TATSÄCHLICH!!
Was tun im ersten Fall?
Gelegentlich (oder auch mal öfter) kann man ruhig weghören! Wenn Kinder unter sich Dinge austauschen, die nicht total meine Toleranzgrenze überschreiten und es wirklich in einem spaßigen Kontext passiert, höre ich einfach mal weg!
Zweitens:
Wenn Kinder uns scheinbar „provozieren“ mit diesen Wörtern bedeutet das oft „ich brauche deine Aufmerksamkeit!“- „Ich will dass du dich mir zuwendest, mich hörst, mich siehst“. Kleine Kinder tun das oft durch hauen, weil sie noch nicht verbal dazu in der Lage sind. Es ist aber die gleiche Botschaft. Dann sollten wir genau das tun: uns ihnen zuwenden, sie sehen und hören.
Ältere Kinder sagen diese Wörter oft, um zu sehen wie wir reagieren. Denn es wirft uns aus der Bahn, wenn wir diese obszöne Rapper Ghetto Sprache hören. Und Kinder merken, aha, da ist sie unsicher, da ist sie geschockt.
Unsere Reaktion? Wir beginnen mit großer Empörtheit Verbote aufzustellen und diese Wörter als absolutes Tabu zu deklarieren.
Für manche Kinder hat das etwas mit Selbstwirksamkeit zu tun, sie suchen die Reaktion des Gegenübers. Sie spüren sich, wenn sie so extrem reden, weil wir extrem reagieren. Oder weil sie Bestätigung und Zuwendung der anderen Kinder bekommen, denn die staunen, was der sich traut oder lachen und so sind sie miteinander verbunden. Das erleben diese Kinder nicht oft in ihrem Leben.
Habe ich das erst mal erkannt, kann ich ganz anders und gelassen mit verbalen Attacken umgehen.
Trotzdem
In jedem Fall ist es wichtig, sich klar zu positionieren! Und zwar persönlich und nicht pauschal! (Habe ich im Respekt Artikel etwas ausführlicher beschrieben.) Ich will nicht, dass du Schimpfwörter benutzt aus folgenden Gründen. Tja, da muss man sich erstmal kurz hinsetzen und überlegen. Und wo liegt meine Grenze? Ich benutze ehrlich gesagt relativ oft Wörter wie „Scheiße“, „verdammt“, … Also kann ich wohl kaum von den Kindern einfordern, dass sie es nicht sagen. Es gibt aber eben einige Wörter, die sehr verletzend sein können, deren Bedeutung rassistisch ist, die Minderheiten diskriminieren oder die einfach nur eklig sind. Ich möchte sie nicht hören und nicht akzeptieren!
Pädagog*innen sind oft in einer Rolle gefangen. Lass die Rolle getrost hinter dir, sie hilft dir in keinem Fall im Kontakt mit Kindern, denn sie sind echt und authentisch und suchen ein authentisches Gegenüber.
Drittens:
Und dann wäre da noch der dritte Grund, der so simpel und einleuchtend ist, aber meistens komplett ignoriert wird: Kinder benutzen Schimpfwörter, weil sie sich ärgern.
Ach nee…
Vergessen und ignorieren wir aber deshalb meistens, weil bei uns nur das böse Tabu-Schimpfwort ankommt. Und das wollen wir verbieten. Aber der Grund der hinter dem Schimpfwort verborgen liegt, fällt dabei meistens hinten runter.
Ich sitze also zum Beispiel im Kreis mit den Kindern und es gibt eine Erzählrunde, Noah erzählt von seinem Wochenende, Celine kichert im Hintergrund und sofort sagt Noah zu ihr:„Halt die Fresse du fette Nazischlampe!“ Sie feuert zurück und am Ende gehen sie fast gegenseitig an die Gurgel.
Ich frage mich, ob ich den Schuss nicht gehört habe, alle saßen eigentlich friedlich da und hörten zu. (M)ein erster Impuls wäre beide raus zu schicken.
Klar ist, Noah hat seine Gefühle nicht so ganz unter Kontrolle. Ein kleiner Tropfen und er explodiert sofort. Das hat er zu Hause nicht lernen können und er hat wirklich ein Problem mit Konflikten umzugehen. Das weiß ich eigentlich auch und hab es im Blick. Hier war ja aber erstmal gar kein Anlass gleich so loszufeuern…
Beim Nachfragen erfahre ich, dass Celine ihn heute schon die ganze Zeit provoziert hat und als sie gekichert hat, auch Luftküsschen als Andeutung auf Noahs neue Freundin gemacht hat. Er ist also extrem wütend und auch verletzt, weil man sich über seine neue Freundin lustig macht. Er ist so offen und teil das mit uns und jemand macht sich dabei über ihn lustig…
Ich könnte ihm einfach über den Mund fahren und sagen, so nicht. Hier werden keine Schimpfwörter benutzt, du kannst dich mal fünf Minuten vor der Tür abreagieren! Ich will hier sowas nicht hören!
Dabei lernt Noah nicht mit seinen Gefühlen umzugehen. Er lernt sie zu unterdrücken. Ich will aber, dass er lernt, mit ihnen umzugehen und alternativ zu reagieren. Er kann Celine sagen, dass er das nicht möchte. Aber eben mit anderen Worten.
Wichtig ist also immer zu sehen, warum wurde etwas gesagt!!
Versteht mich nicht falsch, ich akzeptiere diese Schimpfwörter auch nicht! Ich positioniere mich immer wieder klar dagegen. Aber mein Fokus liegt nicht auf den Schimpfwörtern, sondern auf dem Grund und auf dem Gefühl dahinter.
Praxisidee – ein Schimpfwörter Barometer
Ich will mit den Kindern zusammen verstehen, warum so krasse Schimpfwörter verletzend und gemein sind.
Dafür habe ich folgendes gemacht:
Ich habe eine Schimpfwörter-Skala gebastelt. Es gibt die Zahlen 1 – 10 mit einer Einstufung von harmlos/witzig, mittel, bis hin zu sehr schlimm/verletzend.
Die Skala wird in die Mitte auf den Boden gelegt. Die Kinder dürfen nun alle Schimpfwörter die sie kennen, benutzen oder jemals gehört haben auf kleine Zettel schreiben. Wirklich alle, Anna? Die Kinder können es kaum fassen!! 🙂 Beim aufschreiben der Wörter fängt der Spaß an, kicher kicher kicher… und wie wird das überhaupt geschrieben? Und wirklich alle? Ja 😉 !
Im nächsten Schritt dürfen die Kinder, jeder für sich, die Zettel an die Skala legen und für sich einstufen, wie sie die Schimpfwörter finden oder wie sie sie selbst gebrauchen.
Im folgenden Teil kommen wir ins Gespräch. Wir stellen fest, viele Wörter doppeln sich, aber jeder empfindet es anders. Ein Kind ist verletzt obwohl es witzig gemeint war oder auch anders herum, ein bös gemeintes Schimpfwort kommt bei einem anderen Kind eher als Scherz an.
Manche findet keiner schlimm: „Penner“ oder „behindert“ zum Beispiel. Aber was heißt das eigentlich, wer ist wirklich ein Penner und was bedeutet es behindert zu sein. Wir reden darüber und tauschen uns aus. Ein Kind hat eine blinde Schwester, ein anderes einen Cousin der im Rollstuhl sitzt und ein Kind berichtet von einem Freund der Familie, der mal eine Zeit auf der Straße leben musste. Die Kinder werden sensibilisiert, viel mehr: sie sensibilisieren sich gegenseitig mit ihren Berichten ohne eine Moral-Apostel-Predigt.
Manche Wörter finden alle sehr beschämend, zu krass und verletzend.
Wir kommen miteinander zu einem Ergebnis: Es findet keiner schön, wenn er beschimpft wird. Es fühlt sich nicht gut an.
Nach dieser Aktion haben die Kinder nicht unmittelbar und für immer aufgehört Schimpfwörter zu benutzen, aber es gab ein anderes Gespür dafür und es war klar: wir wollen anders miteinander reden. Die Kinder haben sich dann oft selbst darauf hingewiesen.
Mit der Zeit hat der Gebrauch auf jeden Fall abgenommen, aber einen Tag ganz ohne diese „netten Vulgarismen“ hab ich dann doch nie erlebt 😉 . Aber meine Erfahrung ist, so klappt es besser als 10 Cent ins Schimpfwörter Sparschwein werfen zu müssen oder Verbotsregeln.
Wie gehts dir mit dem Gebrauch von Schimpfwörtern und wie handhabst das?
Mein neuer Kurs Kinder sehen startet am 27. Juni – sei dabei! Hier findest du mehr Infos.
Die Kopiervorlage für meinen Schimpfwörterbarometer findest du in meinem Etsy Shop. Du kannst ihn dort als Download bekommen. Du unterstützt damit meine Arbeit und meinen Blog, der fast ohne Werbung auskommt.
Wenn dir dieser Artikel gefällt bzw. weitergeholfen hat, würde ich mich raketenmäßig freuen, wenn du meinen Blog unterstützt. Du kannst dies über den unten stehenden Link tun. Wieviel du willst und natürlich freiwillig. Vielen Dank!!
7 Comments
Toller Artikel und tolle Idee mit dem Schimpfbarometer! Schön das es so engagierte kinderwärts-denkende Menschen wie dich gibt! 🙂
Liebe Anna, einen schönen Artikel hast du hier verfasst. Und die Idee mit dem Barometer finde ich klasse. Deine Art, sich auf die Kinder einzulassen ist ganz wunderbar. Bewahre Dir diese Einstellung.
Von ❤ alles Liebe
Susanne
Mit Schimpfwörtern möchte doch nur jemand wichtig werden, der das dringend braucht und nicht weiß, wie es geht.
Ich nehme die Talente wichtig, mit denen er nicht kann, und zeige es ihm einfach indem ich mit seinen Talenten BESSER umgehe als er.
Ich freue mich auf Euren Erfolg.
Franz Josef Neffe
Hallo Anna,
das ist jetzt mein erster Artikel, den ich auf deinem Blog lese. Ich befinde mich derzeit im Abschluss des Sozialassistenten (der geht zwei Jahre) und im Sommer beginnt für mich die Erzieher Ausbildung.
Für mich haben Schimpfwörter im Kindergarten ja immer ein bisschen befremdlich gewirkt. Woher kennen die Kinder die Wörter? Der richtige Schock kam dann, als die Kinder noch schlimmere Wörter kannten, als ich ihnen zugetraut hätte. Und dann habe ich natürlich das Gespräch gesucht, da ich ja nicht „falsch“ reagieren wollte sondern viel eher verstehen wollte, warum das so ist. Und ich hatte das Glück, dass man mir auch erzählt hat, dass dahinter viele Gefühle stecken können, Botschaften oder einfach nur ein „Spaß“ – man sollte eben lernen, welche Grenzen man selbst hat und einen Weg zu finden, damit umzugehen. Deine Skala ist eigentlich perfekt. Manch einer sagt vielleicht, dass die Kinder dabei nur noch schlimmere Wörter lernen, aber eigentlich ist es ja besser, wenn sie mal aufgeklärt werden und lernen, dass so etwas Menschen verletzen kann. Ich werde es im Hinterkopf behalten und freue mich auf weitere, interessante Artikel von dir! 🙂
Liebe Grüße
Henrik
Lieber Henrik,
und ich freue mich, dass du nun auf dem Blog gelandet bist! 😉 Ja, die eigenen Grenzen kennen und kommunizieren ist ein ganz großer Schlüssel, es geht nicht um Pauschalgrenzen, sondern um DEINE! Ich wünsche dir eine gute Ausbildungszeit und hoffentlich dann eine erste tolle Stelle!! Freu mich von dir zu hören!
Anna 🙂
Ich habe heute Abend ganz viel hier nachgelesen, da ich Dich ja (leider) erst vor kurzem „entdeckt“ habe. Hier muss ich jetzt mal meinen Kommentar hinterlassen, weil ich so froh bin, Dich gefunden zu haben. Bei meinem „großen“ Kind, dem Löwenjungen mit fast 8 Jahren habe ich mich auf vielen Blogs einfach nicht mehr wieder gefunden. Es macht großen Spaß Deine Beiträge zu lesen, auch wenn es mich wieder eine schlaflose Nacht kostet.
Merci
Tanja von Tafjora
Liebe Anna,
ich bin auf der Suche nach einer Lösung für unser „Problem“ auf Deinen interessanten Artikel gestoßen.
Ich habe hier meinen Sohn (10 J.) und die Lebensphase – in der wir zur Zeit stecken – wiedererkannt. Mir ist relativ klar, warum mein Sohn, die vulgärsten Schimpfworte vor sich hinbrabbelt oder aber manchmal laut brüllt … aber eine Lösung habe ich leider noch nicht gefunden 🙁 Da es ja leider nicht nur zu Hause der Fall ist, sondern vermehrt auch in der Schule. Von ausgebildeten Pädagogen geschweige denn Quereinsteigern kann man leider nicht erwarten, dass sie auf jedes Kind individuell eingehen. Und da stellt sich die Frage: Wie geht man als Mutter damit um? Man möchte ja nicht, dass das Kind einen Stempel aufgedrückt bekommt, ständig Zeit vor der Klassentür verbringt und nicht lernt mit seiner Wut und seinen Gefühlen umzugehen.
Da mein Sohn nicht der einzige in der Klasse ist, der mit Beleidigungen und Schimpfwörtern um sich wirft, werde ich Deine Idee mit dem Schimpfwortbarometer mal bei der Klassenlehrerin anregen.
Liebe Grüße
Andrea