Warum ich beziehungsorientiert arbeite? Weil Kevin auf dem Fensterbrett mir meine wichtigste Lektion in meiner pädagogischen Arbeit erteilt hat.
Als ich begann mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten…
…merkte ich schnell, dass Theorie und Praxis manchmal extrem weit auseinander liegen und ich zwar wertschätzend sein wollte, mir genau das nicht gelang, wenn Kinder mich sehr herausforderten.
In mein Projekt kam ein Junge – Kevin*. Im Schlepptau hatte er immer seine gesamte Clique. Die Crew stellte uns als komplettes Team und eigentlich unsere ganze Arbeit auf den Kopf.
Wenn sie auftauchten war unsere Feedbackrunde doppelt so lang, der Workshop drei mal so anstrengend und wir schafften inhaltlich halb so viel wie sonst. Meist kam es gar nicht dazu, dass sie überhaupt richtig mitmachten. Einige Kolleg*innen forderten nach kurzer Zeit ein Hausverbot für die Jungs…
Abends bitte einmal Ohren auswaschen
Wenn du auf meinem Blog gelandet bist, bist du vermutlich mit Kindern in Kontakt, und weißt was es bedeutet, wenn „Kinder sich daneben benehmen“. Ich schildere es dennoch mal grob:
Mehrere kleine Männer poltern in den Raum, zuerst äffen sie dich nach, wenn du sie freundlich begrüßt, dann treten sie irgendwo gegen und machen sich als Nächstes über andere Kinder lustig.
In einer Gesprächsrunde hören sie null zu und Hurensohn-, Penis- und deine Mutter-Sprüche sind die eher harmlosen sprachlichen Äußerungen, die sie im Minutentakt von sich geben, so dass ich mir abends meine Ohren mehrmals gründlich waschen möchte.
Gegenüber anderen Kindern und Mitarbeitenden äußern sie sich derart fremdenfeindlich, so dass man spätestens an dieser Stelle sagen möchte: „RAUS! Aber HALLO! Und bitte schnell. Und lasst auf dem Weg nach unten den Fahrstuhl heil! Und fackelt das Haus nicht ab!“
Ich wollte Kevin und seine Jungs trotzdem immer unbedingt da haben und nicht wegschicken! Denn ich weiß, dass sie das überall erleben, sie werden raus gebeten und ausgeschlossen!
Und mit jedem Mal, an dem sie RAUS geschickt werden, steigern sich ihre extremen (Re)Aktionen, damit die Rückmeldung auch extremer wird. Ein Feedback kennen sie jedenfalls gut: du benimmst dich daneben, du musst raus, du wirst aussortiert.
Ich war auch oft überfordert in diesen Situationen, absolut! Mein Team fragte mich danach immer „was machen wir mit denen?“ Wir müssen doch die anderen Kinder, uns selbst und unsere Räume schützen!“ Und ich als tolle Pädagogin hatte auch keine Antwort.
Manchmal haben wir auch tatsächlich „raus“ gesagt. Unser Glück (in meinen Augen) war, dass sie trotzdem immer wiederkamen.
Als wir wieder einmal gesagt hatten „ihr müsst für heute leider gehen!“, gingen sie zwar, aber nur bis ins Treppenhaus.
Ein offenes Fenster im 7. Stock
Ich hörte sie im Treppenhaus grölen und ging sicherheitshalber zu ihnen.
Ich stemmte unsere schwere Eingangstür auf und mir blieb mein Herz fast stehen. Kevin saß am Fenster. Am offenen Fenster. Unsere Räume waren im 7. Stock in einem Berliner Hochhaus.
Das Treppenhaus gehörte nicht offiziell zu unseren Räumen, also hatten wir theoretisch keine Aufsichtspflicht mehr. Aber die Theorie ist scheißegal, wenn ein Junge auf einer Fensterbank im 7. Stock sitzt. Kevin machte lauthals auf sich aufmerksam und auf jegliche Aufforderung er solle darunter kommen, keine Anstalten.
Was tut man in so einer Situation?
Das hat mir keiner im Studium, keine Anleitung im Praktikum und auch kein Chef beigebracht!
Die Jungs fanden das eher mega witzig. Droht man mit der Polizei? Zerrt sie unter Anwendung von Gewalt vom Fenster weg und trägt sie vor die Tür? Kevin saß wirklich gefährlich auf der Kante. Bei einer falschen Bewegung hätte etwas schief gehen können, denn er schaukelte auf dem Fensterbrett hin und her.
„Bitte komm darunter!“ „Du kommst jetzt sofort runter.“ „Bist du lebensmüde?!“ „Bist du wahnsinnig?!“ „Komm runter!! Jetzt!“
Nachdem eine ganze Weile nichts passierte, außer dass sich sämtliche Horrorszenarien in meinem Kopf abspielten und gleichzeitig eine absolute Nicht-Ahnung, was ich jetzt machen sollte, wurde mir eigentlich nur klar: ich muss irgendwie ruhig bleiben.
Was dann geschah, werde ich nie vergessen. Ich habe alle Aufregung, Strenge, strafenden und hysterischen Ansagen sein lassen und gesagt: „Kevin, ich habe wirklich Angst um dich und dass du da runterfällst!“
Er hielt inne, lächelte mich an (nicht aus) hopste vom Fensterbrett, schloss das Fenster und sagte: „Das brauchst du aber gar nicht!“ und drückte auf den Fahrstuhlknopf, um zu gehen.
Im Fahrstuhl hörte ich ihn schon wieder irgendwelche Penis-Parolen schreien.
Es ist nicht akzeptabel,
wenn er die anderen Kinder beschimpft und Dinge kaputt macht. Das ist keine Frage und steht auch nicht zur Diskussion.
Aber es ist auch absolut nicht akzeptabel wenn unsere Gesellschaft ihn ausschließt. Kevin erfährt echte Ausgrenzung, nicht nur durch Menschen in der Straßenbahn, wenn er rumpöpelt und laut ist, sondern auch in der Schule. Gerade dort müsste man doch in der Lage sein mit ihm umzugehen. Selbst wir in unserem Projekt, in dem wir uns auf die Fahne geschrieben hatten, JEDE*R sei willkommen, grenzten ihn aus.
Da muss sich ein Junge erst auf eine Fensterbank im 7. Stock setzen, damit sich jemand wirklich Sorgen um ihn macht. Dabei ist er ein kleiner Junge und kein Monster.
Ja, es fordert mich auch seeeeeeehr heraus mit ihm und seiner Jungs-Clique umzugehen. Absolut. Sie verunsichern mich und machen mich wütend. Dann werde ich entweder innerlich selbst zum Teenager oder zum autoritären Muttertier, beides keine guten Ideen. Weder ist das professionell noch das, was ich von mir selbst erwarte. Ich verstehe also, dass der Umgang für Kolleg*innen herausfordernd ist. Ich höre dann den so beliebten Satz. „Der braucht Grenzen! Und der muss lernen, dass das so nicht geht!“
Soll ich dir etwas sagen? Kevin braucht bestimmt keine Pauschal-Grenzen, damit er „endlich mal Respekt lernt“.
„Anna, wenn du ihnen alles durchgehen lässt, tanzen sie dir am Ende noch auf der Nase herum.“ Tatsache ist, sie tanzen mir nicht erst am Ende auf der Nase herum, sondern von Anfang an und zwar nicht nur mir, sondern jedem! Auch wenn die Grenzen noch so gut gesetzt werden.
Was also tun? Dieses Verhalten durchgehen lassen? NEIN!!! Aber was dann?
Wer bist du, Kevin?
Ja, natürlich positioniere ich mich und sage ihm, wieder, wieder und immer wieder, dass ich bestimmtes Verhalten nicht akzeptiere und nicht möchte!
Aber ich versuche auch und vor allem hinter die Fassade aus Macho-Penis-Sprüchen zu gucken, um zu erkennen was und vor allem WER da los ist?
Was ist alles kaputt bei dir, damit du dich so verhalten musst? Wie wenig Selbstwert hast du? Dein Selbstwert-Glas ist leer und dein Herz sehr schwer.
Ich höre hin! Ich schaue hinter das Verhalten und suche die Ursache! Was ich höre: „Hallo!! Hier bei mir ist große NOT!! Ich bin sehr verloren!!“
Ich gestehe: Es ist ein bisschen „tricky“, das hinter den Penis-Sprüchen zu hören, aber im Grunde schallt es ziemlich laut!
Ich sehe einen jungen Menschen mit sehr vielen Verletzungen, jemand der nicht bedingungslos geliebt wird, der verloren ist und auf der Suche nach Menschen, die ihn annehmen und auf der Suche nach sich selbst!
Meine Aufgabe ist es, ihn anzunehmen. So wie er ist!
Bis der Selbstwert-Tank gefüllt ist und eine Verbindung zwischen uns entsteht, vergeht viel Zeit, mit vielen Begegnungen und Momenten, Gesprächen, Annäherungen, die mal gut verlaufen, mal nicht. In denen ich auch manchmal denke: „Nö! Ich kann nicht mehr.“ Ja, wir brauchen einen langen Atem bei Kindern, die uns herausfordern.
Was am Fensterbrett passiert ist?
Beziehung. Jemand hat ehrlich zum Ausdruck gebracht, dass es ihm um Kevin geht, einfach um ihn als Person. Da war dieser ultra kurze Moment, in dem es nicht um sein extremes Verhalten ging, sondern um ihn selbst. Die wirkliche Person „Kevin“, der Junge, der Mensch, ist ja so viel mehr als der, den er in seinem Verhalten anderen zeigt.
„Ich habe wirklich Angst um dich!“ Diese Worte haben ihn berührt und sind ohne Umwege in sein Herz gelangt. Die Reaktion habe ich beschrieben, es war wie eine Zauberformel.
Neben der Verhinderung eines Unglücks (z.B. dem Absturz vom Fensterbrett oder sonstigen kleinen und großen Katastrophen) ist das mein Job: diesen Menschen zu sehen. Wer bist du? Und nicht warum verhältst du dich so falsch (und was können wir dagegen tun)?
Baue intensive, ehrliche und authentische Beziehungen zu den Kindern, mit denen du arbeitest auf. Das ist das aller Wichtigste!!
Das verschmitzte Lächeln von Kevin, das direkt vom Herzen kam und das lautlos Danke hieß werde ich nie vergessen.
* Kevin gibt es wirklich, aber er heißt im realen Leben nicht Kevin.
Nachtrag zum Namen: Noch einmal zu dem Namen Kevin, da ich öfter darauf angesprochen werde.
Für mich ist der Name überhaupt nicht negativ besetzt und ich mag ihn gerne. Bei mir ist immer eher die Assoziation zu „Kevin allein zu Haus“ da ;).
Es gibt viele Namen, die negativ besetzt sind (Justin, Leon, Luca, Mahmud, Mandy, Chantal, Jessica, …)
Insgesamt versuche ich die Namen für die Kinder hier auf dem Blog möglichst bunt zu wählen.
Ich glaube, es wird aber in der geäußerten Kritik deutlich, dass diese Namensvorurteile in unseren Köpfen stattfindet und wir Kinder, mit „diesen“ Namen in Schubladen stecken. Deswegen schreibe ich auch über einen Kevin, weil ich alle sehen möchte, Friedrich, Michel oder Georg-Alexander-Martin und auch Kevin.
Ich würde jetzt wahrscheinlich einen anderen Namen wählen, nun steht aber da und ich werde ihn nicht nachträglich ändern…! Ich kann die Kritik aber durchaus nachvollziehen!
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Hier findest du meinen neuen Online Kurs, indem wir zusammen Richtung kinderwärts unterwegs sind und du deine beziehungsorientierte Haltung für deine pädagogische Arbeit stärkst.
20 Comments
Liebe Anna,
gerade gestartet und dann direkt mit so einer durchschlagenden Botschaft! DANKE! In meiner Jugend hatte ich viele Kevins im Freundeskreis. Erfahrungen, die mich sehr geprägt und schließlich zu meiner Arbeit geführt haben.
Meine Kevins sind gerade tatsächlich die Erzieherinnen im Kindergarten, die noch recht viel mit Strafen und Ausgrenzungen arbeiten. Und mir fehlt da als Mama eines rackerigen 4-Jährigen natürlich die professionelle Distanz. Und meine schwierigste Frage hast Du oben genannt: Was kann ich dagegen oder besser: dafür tun, dass es allen Beteiligten in dieser Sache gut geht?
Weiter geht’s auf der gesellschaftspolitischen Eben vor allem in Bezug auf das Ansehen und die Wertschätzung des Erzieherberufs. Gut – mit kleinen Schritten voran. In diesem Sinne: ganz viel Erfolg und Freude mit Deinem tollen Projekt!
Wir hören uns,
alles Liebe,
Isabel
Liebe Isabel,
wow, danke für ein so cooles und motivierendes Feedback!! Das freut mich mega! Dein Sohn hat zum Glück dich als Mama;) und im Kontakt mit den Erzieherinnen ist Geduld angesagt, wenn sie denn (kinderwärts) unterwegs sind. Ansonsten ist manchmal ein Wechsel auch kein falscher Gedanke. Aber an dieser Stelle wertschätzend zu bleiben ist nicht immer leicht, das kenn ich nur zu gut…!
Freu mich auf weiteren Kontakt. Dir auch alles Gute für deinen tollen Blog!
Liebste Grüße Anna
Toll! Wirklich berührend und eine tolle Botschaft! Ich wünsche dir alles Gute für deinen Blog!
Liebe Senila,
vielen Dank! Ja, es berührt, diese Kinder berühren einen immer wieder!
Ganz liebe Grüße
„Wir brauchen einen langen Atem bei Kindern die uns herausfordern.“ Ja liebe Anna, einen laaangen Atem. Und du sorgst mit dafür, dass immer mehr Menschen genug Vertrauen entwickeln, diesen langen Atem zu investieren. Beste Investition! 😉
Liebe Anna,
ein ganz wunderbarer Text, der mich wirklich bewegt hat. Ausgrenzen, rauswerfen, das allzu oft genutzte Mittel, wenn wir nicht mehr weiter wissen. Umso mehr bewundere ich dich, wie du einen anderen Ansatz wählst, der Mut, echte Anteilnahme und Wertschätzung erfordert. Du leistest ganz großartige Arbeit.
Ein dickes Dankeschön und liebe Grüße
Ulli
Liebe Ulli,
vielen Dank für dein wunderbares Feedback, ich hab mich mega drüber gefreut!!
Für dich alles Lieebe und hoffentlich auf bald :)! Anna
[…] Anna hat einen tollen Schreibstil und Ihre Artikel haben Geschichtencharakter und gleichzeitig regen sie so sehr zur Selbstreflexion an, dass ich am Ende oft noch einen Moment sitze und die Wand anschauen und nachdenke z.B. „Kevin auf dem Fensterbrett“ […]
Nein, ich bin damit nicht einverstanden. Diese Jungen nehmen den anderen Kindern die Freude und stehlen Ihnen die Zeit. Ja, ich finde es richtig sie auszugrenzen. Sie müssen lernen, dass es so nicht geht. Und wenn sie dann überall rausfliegen, so what? Sie grenzen sich doch selbst aus. Wenn sie Abschaum sein wollen, sollen sie es sein, aber woanders. Ich finde dieser Artikel klingt natürlich ganz toll, aber was ist mit den anderen Kindern? Die sich von den Kevisn treten, beschimpfen und bespucken lassen müsseb. Verdienen die keine Anteilnahme, keinen Schutz? Was fühlen wohl die ausländischen Kinder, die eben noch beschimpft worden sind, wenn du im übertragenen Sinn mit ihren Peinigern kuschelst? Niemenad zeigt diesen Kindern, dass man sich so nicht verhalten darf, du auch nicht. Ich finde, das ist keine Leistung die du da vollbracht hast sondern ein feiges Armutszeugnis. Du hast die anderen Kinder verraten, die Opfer um die Täter zu bestärken in ihrem verhalten. Ganz tolle Leistung.
Hallo Ariane,
ich stimme dir zu, dass sie lernen müssen, dass es so nicht geht (schon allein um sich selbst zu schützen). Lernen sie es, indem man sie ausgrenzt? Nein!
NATÜRLICH bekommen (die anderen) Kinder die schlecht behandelt werden Schutz, Trost und Begleitung von mir. Aber in diesem Artikel (und auf meinem Blog) geht es eben nicht nur um diese Kinder – sondern ich will aufzeigen, dass Kevin auch Schutz und Anteilnahme braucht. Ich beschreibe ja auch, dass das wirklich nicht mein erster Impuls ist, Anteilnahme an dem Kind, dass sich „so daneben“ benimmt! Aber nur indem ich mich ihm -trotz allem- zuwende, wird er lernen, „dass es so nicht geht“!
Es ist NIE richtig einen Menschen auszugrenzen!
Das ist meine Haltung, das vertrete ich hier auf dem Blog! Keiner ist Abschaum.
Ja, wie fühlen sich wohl die anderen Kinder? Das finde ich genauso wichtig zu bedenken, wie zu bedenken wie es Kevin geht (es muss kein entweder oder geben!). Und warum beschimpft Kevin ausländische Kinder? Vielleicht ist er selbst ein Kind mit Migrationshintergrund und wird genau so an anderer Stelle behandelt?
Ich wünsch dir alles Gute!
Anna
Das klingt alles ganz wunderbar. Schön durchdacht, pädagogisch wertvoll, keinen ausgrenzen, alle wertschätzen… Klar bekommen auch die Kinder, die schlecht behandelt werden, Trost und Schutz…?!? Klar, gleichzeitig, während 30 Kinder in der Klasse sind mit einem Lehrer? 20 in der Kitagruppe mit 2,5 Erziehern und Kindern, die gerade auf der Toilette, beim Bauen etc. Hilfe brauchen? Fakt ist, in unserer Kita gibt es von 20 Kindern ca. 5, die laut Eltern „auf Augenhöhe“ erzogen werden. Sorry, kein Kind ist auf Augenhöhe mit den Eltern – weder körperlich noch geistig noch an Lebenserfahrung. Diese Kinder bekommen keine Grenzen gesetzt, dürfen alles ausdiskutieren, treten und beißen im Alter von 6 Jahren, sodass die anderen Kinder ihre Eltern bitten, mit den Rabauken zu reden. Aber die Erzieher sind der Meinung, was in der Kita ist, bleibt in der Kita. Die Folge: Bisswunden, die 2 Wochen nicht abheilen, blaue Schienbeine von oben bis unten, die blauen Flecken angeschwollen… aber die Kinder haben ihr Fehlverhalten eingesehen, sich entschuldigt und alles ist gut – bis zum nächsten Mal… Mir fehlen hier die konkreten Hilfen für die anderen Kinder. Die Aufmerksamkeit bekommt immer der „Täter“… Ich kenne persönlich 5 Kinder im Bekanntenkreis, die genau wissen, dass sie ihre Eltern im Griff haben und „Strafen“ nicht erfolgen. Grenzen kennen sie deshalb nicht. Wo bleibt die Konsequenz und der Schutz der anderen?
Danke Anna,
für einen weiteren tollen Impuls. Schliesslich geht es in unseren Beziehungen auch immer um Selbstschulung.
Und ja, ich kenne auch so krasse Aussagen wie „Abschaum“, doch das passiert stets aus der Entfernung, nie im in Beziehung sein. Angst ist ein starker Nährstoff, Wut, Unverständnis…. Und alles verständlich.
Die Frage ist für mich, schaffe ich es mich – gleichsam wie Münchhausen- am eigenen “ Zopf “ aus dem Sumpf, über mein Unverständnis, meine Angst….. über mich hinauszuziehen?
Und da tuen Berichte wie Deine gut, machen Mut.
Denn Leben ist nicht genug, sagte der kleine Schmetterling. Sonnenschein, Freiheit und eine kleine Blume muss man auch haben. C.H.Andersen
Liebe Ama,
ja es geht viel Reflektion und wir (ich vor allem) brauchen ein Team um uns, dass uns dabei hilft. Und Artikel, Kommentare, Bücher, Erfahrungsberichte usw. helfen auch dabei, auf jeden Fall. Deswegen habe ich auch mit diesem Blog begonnen.
Ich kann es nur zurückgeben und sagen: Kommentare wie deine tun gut!!
Ich wünsch dir weiterhin viel Mut und alles Liebe!
Anna
Ein wirklich schöner Artikel. Ich will aber nicht nur loben sondern auch Kritik üben. Tolle Botschaft, toller Umgang. Sowieso finde ich deinen Anspruch für Beziehung statt Erziehung (habe ich das richtig verstanden?) super und ist meiner Meinung nach auch der richtige (ich beschreibe das jetzt in richtig und falsch, um zu provozieren ;)), denn Erziehung ist Zwang in ein System, das nicht für alle gut oder passend ist.
Meine Kritik: Den Namen Kevin finde ich absolut unpassend. Der Name ist so schon voll belastet mit Negativem wie „asozial“, dumm, rüpelhaft und manchmal auch gemein oder gewalttätig und mit der Wahl für deinen eigentlich super Artikel bestärkst du dieses Klischee und die Belastung dieses Namens. Denn der Kevin in deiner Geschichte passt genau in dieses Strickmuster. Wie schade! Du hast den Namen doch eh geändert, warum dann nicht irgendein Name, der nicht so stark belastet und gesellschaftlich missbraucht wird (siehe ehemaliger Kandidat für das Jugendwort 2015 „Alphakevin“=der dümmste von allen… spricht Bände, oder?). Jan, Michael, Anton, Johannes, Esau, Adam, Ludwig, Frieder, …. so viele Namen.
Für weitere Artikel möchte ich dir ans Herz legen, gesellschaftliche Belastungen und Ausschlussmechanismen mit in Betracht zu ziehen. Ja, das Kind ist ein Individuum. Ja, das Kind sollte als solches wahrgenommen werden. Und das Kind wächst in einer Gesellschaft auf. Und das Kind wird von dieser enorm beeinflusst, geprägt und auch geformt. Du hast toll reagiert, dass auch der „Kevin“ aus deiner Geschichte Trost, Schutz und Beachtung braucht. In Artikeln und Geschichten wird aber nicht nur gelesen was du schreibst, sondern auch wie du schreibst. Und besonders letzteres ist manchmal so schwierig zu differenzieren, wenn das, was geschrieben wird so toll ist. Aber das wie beeinflusst uns Lesende sehr unterbewusst, dass wir es sehr oft nicht merken – oder nur mit Übung. Und so manifestiert sich das Bild des „Kevin“.
Ich hoffe das war konstruktiv und höflich geschrieben – denn so war es gemeint 🙂
PS: das ist nicht meine Identität, die ich angegeben habe. Die möchte ich für mich behalten. Nicht aus Feigheit sondern aus der Entscheidung heraus, es zu wollen. Das reicht für mich als Grund 🙂
Liebe Anna,
du ahnst gar nicht, wie sehr ich mich über deinen Artikel freue. Deine Ansicht und dein Handeln ist genau das, was wir brauchen. Ich selber arbeite mit sehr schwierigen Jugendlichen, die aus allen Rastern und Systemen gefallen sind. Vorher habe ich mit Obdachlosen und psychisch kranken Menschen gearbeitet. Wie oft habe ich gehört, dass das doch keinen Sinn mache. Ich sehe das anders und die Reaktionen meiner Klienten/Betreuten zeigen mir sehr deutlich, dass das der richtige Weg ist.
Oder aber auch im Bekanntenkreis: Vor dem Haus einer Bekannten hängen Jungs im Alter zwischen 12 und 14 Jahren ab. Sie sind anstrengend. Meine Bekannte wollte häufiger die Polizei rufen. Sie hat sich auch beschwert, dass es bei ihr gegenüber eine Jugendeinrichtung gäbe und alle immer so laut seien. Ja, aber wenn es keine Jugendhilfeeinrichtung dort gibt (Jugendtreff), wo wären die Jugendlichen dann? Was würden sie dann tun?
Wie würde sich etwas ändern, wenn sich niemand diesen Jungs annimmt und ihnen mit Respekt begegnet?
Deine Artikel machen mir Mut. Mut im Sinne von: es gibt noch mehr Menschen, die helfen wollen, die anpacken und den Menschen sehen.
Danke!
Liebe Grüße
Hanna
https://sozpaedblog.wordpress.com/
Liebe Anna,
wieder einmal ein spannender und interessanter Artikel. Die Situation, die du beschreibst, habe ich gleich zu Beginn meines Referendariats zu Genüge kennengelernt. Wie du wahrscheinlich weißt, wird man in diesen sogenannten „Vorbereitungsdienst“ hineingeworfen, ohne an der Uni großartig pädagogisches (auch kein didaktisches) Handeln „erlernt“ zu haben. Für mich stellte sich also sofort die Frage, die auch die bisherigen Kommentare widerspiegeln: Wie kann ich mit diesen Jugendlichen umgehen, ohne sie rauszuschmeissen, aber auch so, dass ich andere schütze? Denn dieses Verhalten zu verstärken, das Selbstwertgefühl weiter verringere etc., indem ich abweisend reagiere und einen Rauswurf gegebenfalls noch provoziere, kam und kommt für mich auch rein intuitiv nicht in Frage. Natürlich muss ich auch immer situativ entscheiden und dies auszuführen, würde hier den Rahmen sprengen. Grundsätzlich habe ich aber nach ganz kurzer Zeit festgestellt, was eigentlich glasklar ist. Ein In-Beziehung-Treten mit den Jugendlichen zeigt erstaunlich schnell gute Resultate (schreckliches Wort in dem Zusammenhang, aber mir fällt um die Uhrzeit wenig Schlaues ein). Auffällig ist dann, dass sich die Angesprochenen bei mir oder anderen so Handelnden ganz anders (zugänglicher, kommunikativer, motivierter…) zeigen, als bei – plakativ gesagt – „Rausschmeissern“. Da wären wir aber leider auch schon wieder beim Grundproblem. Es braucht eine Basis, einen durchgängigen Umgang mit Schülern und Schülerinnen, damit das Genannte Früchte tragen kann… Und mehr Personal und mehr Zeit… Denn tatsächlich ist es wahnsinnig schwer bis unmöglich, immer wie selbst gewünscht zu handeln, wenn eben noch 30 andere Kinder in der Klasse sitzen und der Lehrplan einem auch noch im Nacken sitzt. Immer wieder auf dieses Grundproblem zu stoßen, fühlt sich müßig an, da ich jetzt und hier nichts daran ändern kann. Aber Artikel wie dieser machen mir Mut, dass man kein „Tropfen auf dem heißen Stein“ ist und ich bin überzeugt davon, dass dieses Handeln dem ein oder anderen (ob akut betroffener Schüler oder ‚Zuschauer‘) im Gedächtnis oder im Herzen bleibt und langfristig positive Auswirkungen hat.
In diesem Sinne, alles Liebe!
P.S. Ich möchte aber auch noch anmerken, dass ich das Pseudonym nicht gut gewählt finde. Der Name allein ist tatsächlich schon zum Stigma geworden. LG
Liebe Elli,
ich freue mich sehr, dass dir die Artikel Mut machen. Das finde ich nämlich schon sehr viel! 🙂
Noch einmal zu dem Namen Kevin, da es doch mehrfach angesprochen wird, hatte ich erst vor ein paar Tagen unter einem anderem Post etwas dazu geschrieben:
„Ich verstehe es…! Für mich ist der Name nur überhaupt nicht so negativ besetzt und ich mag ihn gerne. Bei mir ist immer eher die Assoziation zu „Kevin allein zu Haus“ da ;). Es gibt soo viele Namen, die negativ besetzt sind (Justin, Leon, Luca, Mahmud, Mandy, Chantal, Jessica, …)
Insgesamt versuche ich möglichst bunt die Namen für die Kinder hier auf dem Blog zu wählen. Ich glaube, es wird aber eben deutlich, dass diese Namensvorurteile in unseren Köpfen stattfindet und wir diese Kinder, mit „diesen“ Namen oder mit einem bestimmten Klamottenstil sofort in Schubladen stecken. Deswegen schreibe ich auch über einen Kevin, weil ich ihn genau so ansehen möchte wie einen Friedrich, oder einen Michel oder Georg-Alexander-Martin.“
Ich würde jetzt wahrscheinlich einen anderen Namen wählen, nun steht aber da und ich werde ihn auch nicht nachträglich ändern…! Ich kann die Kritik aber durchaus nachvollziehen!
Vielen Dank für deinen Kommentar und ich wünsche dir alles Liebe und viel Power für das neue Schuljahr! Anna 🙂
[…] Perspektive einer Erzieherin, die mit Kindern auf Augenhöhe geht. In ihrem Artikel „Kevin auf dem Fensterbrett“ geht es darum, das Kind wirklich zu sehen und nicht nur das problematische Verhalten, das es […]
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